Archiv Ausgabe Dezember 2005 Verschiedenes Archiv

Julius Hirsch

Schicksal eines Karlsruher Superfußballers

Wenn im Dezember Bayern München beim außerordentlichen DFB-Bundestag der Julius-Hirsch-Preis verliehen wird, erinnert diese erstmals vergebene Auszeichnung 60 Jahre nach dem Zusammenbruch der Herrschaft des Nationalsozialismus in Deutschland an die konsequente Ausgrenzung jüdischer Sportler zu Nazi-Zeiten im Allgemeinen und das Schicksal eines Karlsruher Superfußballers und Nationalspielers im Besonderen. 
 
Dass ein Karlsruher Fußballverein einen Spieler für die deutsche Nationalmannschaft stellte, ist schon länger her. Um 1911 waren das gleich drei. Vom KFV , dem deutschen Meister des Jahres 1910 kam nämlich das komplette, legendäre Stürmertrio zum Einsatz: Fritz Förderer, Julius Hirsch und Spielmacher und Torjäger Gottfried Fuchs, der bis heute als Rekordtorschütze des DFB gilt, weil er es bei den Olympischen Spielen 1912 in einem 16:0 ausgegangenen Spiel gegen Russland geschafft hatte, alleine zehn Tore beizusteuern. Linksaußen Julius Hirsch, genannt „Juller“ indessen, dessen gebückte Angriffshaltung zum Markenzeichen wurde und der für seine „Bombenschüsse“ gerühmt wurde, hatte gleich bei seinem zweiten Spiel im Nationaltrikot vier Tore im 5:5 ausgegangenen Remis gegen die Niederlande erzielt.  
 
Der Militärdienst und der Erste Weltkrieg, aus dem Julius Hirsch um Unterschied zu seinem gefallenen Bruder Leopold mit Auszeichnungen zurückkehrte, beendeten nach bereits sieben absolvierten Spielen die Nationalspielerkarriere Hirschs, der aber auch dem damals ja noch als Hobby ausgeübten Fußball treu blieb: bis zur Saison 1922/23 als aktiver Spieler der ersten Mannschaft des KFV, nach seinem 31. Lebensjahr als Trainer. 
 
Während Gottfried Fuchs, lange Zeit lediglich noch im besten Falle als Fußbote in der deutschen Fußballgeschichtsschreibung auftauchte, nach 1933 emigrierte, bleib sein Clubkamerad und jüdischer Glaubensbruder Hirsch in Nazi-Deutschland und wurde schließlich in Auschwitz ermordet. Mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten begann für Julius Hirsch wie für viele andere jüdische Sportler, die bis dahin in deutschen Vereinen Sport getrieben hatte, der Leidensweg. Dass der einst so populäre Stürmer lesen musste, dass auch sein Verein, in dem er seit dem zehnten Lebensjahr als Fußballer heimat gefunden hatte, am 10. April 1933 verkündete, Juden auszuschließen zu wollen, war nur der kleine erste Schritt, auf den Hirsch enttäuscht mit dem seinerseitigen Austritt reagierte: „Ich gehöre dem KFV seit dem Jahre 1902 an und habe demselben treu und ehrlich immer meine schwache Kraft zur Verfügung gestellt.  
 
Leider muss ich nun bewegten Herzens meinem lieben KFV meinen Austritt anzeigen. Nicht unerwähnt möchte ich aber lassen, dass in dem heute so gehaßten Prügelkinde der deutschen Nation auch anständige Menschen und vielleicht noch viel mehr national denkende und auch durch die Tat bewiesene und durch das Herzblut vergossene Deutsche Juden gibt.“ Für Hirsch folgten Jahre der Verfolgung, der familiären Unsicherheit, der beruflichen Degradierung und der Verzweiflung, die im Selbstmordversuch vorläufig gipfelte. 
 
Noch im Februar 1943, als die Deportation bereits konkret drohte, hatte ihm der aus Fußball-Tagen bekannte Leiter des Karlsruher Postscheckamtes angeboten, ihn im versiegelten Kurierwagen in die Schweiz schmuggeln zu lassen. Auf Abraten der Familie, die nicht ahnte, was die Juden im Osten erwartete, nahm er das Angebot nicht an, und wurde am 1. März 1943 in Richtung Auschwitz deportiert. Ein genaues Todesdatum ist nicht bekannt. 
 
Weiterlesetipp  
> 1933 lebten 3.358 Juden in Karlsruhe. Über 1.000 fanden zwischen 1933 und 1945 den Tod. Sie sollten nach dem Willen der Nationalsozialisten namenlos vergessen werden. An sie erinnert das Gedenkbuch, das seit einigen Jahren von Karlsruher BürgerInnen zusammengetragen wird. Darindet findet sich auch der ausführliche Beitrag der Schülerin Alexandra Syré über Julius Hirsch, auf den der nebenstehende Artikel zurückgreifen konnte. Einsehen kann man das „Gedenkbuch für die Karlsruher Juden“ im Stadtmuseum und in der Stadtbibliothek 
 
Buchtipp  
> Was zum 100-jährigen Jubiläum des DFB peinlicherweise noch fehlte, ist eine Darstellung des „Fußball unterm Hakenkreuz“, die der Mainzer Historiker Nils Havemann nun nachträgt. Als Ergebnis einer dreijährigen Forschungsarbeit zeichnet er ein differenziertes, spannend zu lesendes Bild des von den Nazis in Dienst genommenen Verbandes zwischen Sport, Politik und Kommerz. (Campus Verlag, 473 Seiten, 19,90 Euro) 
 
Mithilfeaufruf  
> Das Institut für Stadtgeschichte plant für das Frühjahr 2006 Ausstellung und Publikation über die Geschichte des Sports in Karlsruhe. Die StadthistorikerInnen bitten Karlsruher BürgerInnen und die Sportvereine um Mithilfe beim zusammentragen historischer Unterlagen wie Bilder, Vereinsabzeichen, Pokale, Film- oder Tonmaterial. Besonders gesucht werden alte Trikots und historische Turngeräte. Informationen gibt beim Stadtarchiv Frau von Roth, Tel.: 0721/133–42 32, e-mail: carola.v.roth@kultur.karlsruhe.de