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Rechtsmaterial

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Theatercollage zum rechten Terrorismus

In diesem Jahr schießen die Stücke über den NSU und Rechtsextremismus wie Pilze aus den Bühnen. Auch am Badischen Staatstheater erarbeiten Regisseur Jan-Christoph Gockel und Dramaturg und Autor Konstantin Küspert gemeinsam mit dem Ensemble die Collage „Rechtsmaterial“ zum Thema. Klappe Auf unterhielt sich zum Probenbeginn mit den beiden. 
 
Was kann das Theater in der Aufarbeitung des rechten Terrors leisten, was die Richter und die Journalisten nicht auch leisten können? 
 
Jan-Christoph Gockel: Das Theater ist in der Hinsicht einzigartig, dass es das Innere, die Psychologie der Figuren darstellen kann. Gleichzeitig sehen die Zuschauer - anders etwa als im Kino - wie dies erzeugt wird. Der Journalismus kann nur sehr spekulativ bleiben und eine äußere Sicht geben. Das Theater hingegen ist ja etwas sehr Emotionales. Wir beabsichtigen deshalb auch kein dokumentarisches Stück, in dem es um die Fakten geht. Dafür sollte man besser die Zeitungen lesen. 
 
Was ist dann Ziel ihres Theaterprojekts? 
 
Konstantin Küspert: Wir haben uns im Vorfeld den rechtsextremen Terror der vergangenen 100 Jahre in Deutschland angeschaut und sind dabei auf eine Kontinuität von rechtsextremen Entwicklungen gestoßen, die älter sind als der Nationalsozialismus. In unserem Projekt greifen wir ein rechtes Propagandastück aus der Weimarer Republik, also der Zeit einer demokratischen Gesellschaft, auf. Der expressionistische Dichter und Nationalsozialist Hanns Johst stilisierte mit dem Drama „Schlageter“ einen militanten Aktivisten und Terroristen gegen die französisch-belgische Ruhrbesetzung 1923 zum „ersten Soldaten des Dritten Reiches“. „Schlageter“ zeigt rechten Terrorismus aus einer positiven Perspektive. Mit unserer Gegenüberstellung wollen wir deutlich machen, wie diese Heldenverehrung und Märtyrerbildung funktionieren, und wohin sie führen können. Zehn Jahre nach Schlageter waren die Nazis an der Macht …  
 
Sie haben den Münchner Prozess besucht und für das Stück „Rechtsmaterial“ ausführlich recherchiert. Wie sah die „Zusammenarbeit mit der Bundesanwaltschaft“ aus? 
 
Gockel: Karlsruhe ist die Residenz des Rechts, und hier sitzt die Staatsanwaltschaft, die mit allen Fällen des Terrorismus befasst ist. Wir haben uns mit dem inzwischen im Ruhestand befindlichen Staatsanwalt Rainer Griesbaum getroffen, der über Jahrzehnte die zuständige Abteilung leitete. Pikante Details gab es keine, viel wichtiger für uns war jedoch seine individuelle Sicht und persönliche Perspektive. Uns interessiert dieser eigentliche Vorgang der Radikalisierung, der sehr schwer zu beschreiben ist.  
 
Finden Sie in Ihrer Arbeit Erklärungen dafür, wieso unsere Gesellschaft und die verschiedenen Instanzen auf dem rechten Auge über so viele Jahre blind waren und bei der NSU-Mord-Serie leichtfertig von Mafia-Hintergründen ausgingen? 
 
Gockel: Das ist die härteste Frage überhaupt. Mir war das auch überhaupt nicht klar, und es fällt mir immer noch schwer zu glauben, dass diese vermeintlich „dummen Rechten“ dazu in der Lage waren.  
 
Küspert: Es war eine totale Fehleinschätzung, bei Rechtsextremen von tumben Kahlköpfen auszugehen, die gerade mal im Stande sind, einen Baseballschläger zu halten. Auch die Presse hat bei dieser Verblendung eine zentrale Rolle gespielt. Obwohl es ja bis hin zum bayerischen Innenminister Beckstein, aber auch in Kreisen der Opferfamilien einzelne gab, die da viel hellsichtiger waren. Aber diese Stimmen wurden nicht ernst genommen. 
 
„Man kann keinen Abend zum NSU machen, wo alle danach nicken. Man muss zu härteren Theatermitteln greifen" - so werden Sie in einem Spiegel-Artikel zitiert, was genau bedeutet das? 
 
Gockel: Na ja, ein Hitler gewidmetes Theaterstück zu integrieren, ist schon härtester Stoff, das ist schon ein fieses Stück. Da braucht es viel Brecht‘sche Theatermittel, das in den richtigen Rahmen zu setzen. 
 
Gibt es in der Arbeit mit den SchauspielerInnen Widerstände zu überwinden, sich mit diesen Biografien auseinanderzusetzen und auf der Bühne zu verschwistern? 
 
Gockel: Nein überhaupt nicht. Die Schauspieler haben große Lust, sich mit dem Stoff zu beschäftigen. Und das ist ihr Beruf, sich intensiv auch mit unbequemen Dingen auseinanderzusetzen und dem Publikum dadurch etwas zu vermitteln. Aber sonst hat man schon viel Überzeugungsarbeit zu leisten, um ein solches Projekt machen zu können. 
 
Wenn man einen solch zeitgeschichtlich aktuellen Stoff auf die Bühne bringt, arbeitet man da sozusagen theaterjournalistisch aus dem Moment heraus für den Moment? 
 
Gockel: Die Arbeitsweise ist schon eine ganz andere, als wenn man eine fertige Vorlage hat. Schon die Stückentwicklung macht einen großen Unterschied. Am Anfang stehen ein großer Berg Material und sehr informierte Schauspieler, mit denen wir den Abend gemeinsam entwickeln. 
 
Küspert: Als Theaterautor halte ich gerade dies für eine zukunftsfähige Form des Theaters. Bis in die 90er Jahre hatte man in der Regel den Autor im Hintergrund, dann den genialen Regisseur im Zentrum und die ausführenden Schauspieler auf der Bühne. Heute sind die Hierarchien viel flacher und so ein Stück hat dann am Ende viele Autoren. 
 
> Sa 29. März 2014, 19.30 Uhr, Badisches Staatstheater, Karlsruhe, Baumeisterstraße 11, weitere Aufführungen im April 
 
 
 

Badisches Staatstheater

Hermann-Levi-Platz 1
76137 Karlsruhe
 
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