Archiv Ausgabe März 2014 Verschiedenes Herbies Cartoon

In unserem Alter

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Vor kurzem erreichte mich per E-Mail die Nachricht, dass der WDR seine Hörfunksendung für Senioren umbenennt: Statt „In unserem Alter“ heißt sie nun „Mittendrin“. Das entspreche dem Lebensgefühl der Zielgruppe: „Sie stehen mit beiden Beinen auf dem Boden, interessieren sich für alles, geben gern Geld für schöne Dinge aus...“  
 
Das klingt natürlich besser als: „Sie kriegen keinen mehr hoch, sie müssen nachts öfter raus, sie sabbern, sie werden inkontinent...“ „Best Ager“ oder gar „Golden Ager“ nennen die Werbefuzzis die Generation Ü 50. Golden sind allerdings nicht die Zukunftsaussichten dieser Altersgruppe, sondern die Geschäfte, die damit zu machen sind. Ja, sie geben gerne Geld aus, was sollen sie auch sonst machen, je mehr die Lebenskraft schwindet, desto mehr Ersatzbefriedigungen und Prothesen braucht es, um auf der Zielgerade des Lebens nicht vorzeitig schlapp zu machen, um zu verdrängen, dass in den sogenannten besten Jahren (noch so eine Verlogenheit) das Beste schon lange hinter einem liegt und das einzige Glück, das noch winkt, das eines kurzen schmerzlosen Todes ist. „Glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist“, so heißt es in einer altbekannten Operette. Beim Vergessen und Verdrängen hilft es ungemein, wenn der Verstand sich von den Wiegenliedern und Trostpflastern der Werbe- und Unterhaltungsindustrie einlullen lässt, von den Bildern rüstiger Senioren vor blühenden Landschaften oder vor ihrem neuen Lifta („Danke Lifta“), von Fernsehfilmen, in denen mopsfidele Altersheiminsassen (kurz: MFAHI) als Rockband die Sau raus lassen („Die Spätzünder“), von Kinofilmen, in denen MFAHI ein Flugzeug kapern („Bis zum Horizont, dann links!“) oder ein MFAHI auf seine alten Tage noch einmal für den Berlin-Marathon trainiert („Sein letztes Rennen“). Ja, ich weiß solche Filme sollen die alten Leutchen Mut machen, aber wozu und für was eigentlich.  
 
Wer noch ein paar Tassen im Schrank hat, der kann solche sprachkosmetischen Anstrengungen und Muntermacher nur achselzuckend zur Kenntnis nehmen. Wer solchen Zuspruch nötig hat, der hat nicht mehr viel zu erwarten. Und wo bleibt das Positive? Na, da muss ich jetzt mal überlegen. („Denk, denk, denk“, um mit Winnie Puh zu reden).... Fünf Minuten später: Na, da sind die diversen Vergünstigungen, die es für Senioren ab 60 gibt, beim Kinobesuch, bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Aber mal ehrlich, auch das ist doch ein Zeichen der Regression, mit einem Mal werden einem wieder die Vergünstigungen gewährt, die man auch schon als Kind genossen hat, nur halt anders etikettiert. Ein echter Fortschritt wär es hingegen, wenn man ab 60 oder 65 problem- und straflos Cannabis erwerben dürfe. Die heilsamen Wirkungen sind schon lange bekannt, es wirkt entzündungshemmend und stimmungshebend, beseitigt richtig eingesetzt zahlreiche Alterszipperlein und wirkt der durchaus nicht grundlosen Altersdepression entgegen. Woher ich das weiß? In einem Altersheim in Israel (in Deutschland heißt ja so etwas mittlerweile Residenz) wurde der Einsatz von Cannabis erprobt mit durchschlagenden Erfolg. Das Kulturmagazin „Titel, Thesen, Temperamente“ berichtete darüber. Wer ´s nicht glaubt, der sehe sich den entsprechenden Bericht auf YouTube an. Nichts spricht dagegen, die sogenannte Suchtgefahr ist in diesem Alter vernachlässigbar. Ich fürchte nur, dass die Schulmedizin und die Lobby der Pharmafirmen eine solche segensreiche Entwicklung zu verhindern wissen. Sie haben leichtes Spiel in einem Land, in dem ein Gesundheitswahn vorherrscht, der sich den Kampf gegen Genussgifte aufs Panier geschrieben hat.  
Das Rauchen wurde schon kriminalisiert und weitgehend aus der Öffentlichkeit verbannt, obwohl dessen positive dämmende Effekte auf die Überalterung unserer Gesellschaft nicht einmal von den Rauchern selbst geleugnet werden. Die Folge dieses Gesundheitswahn ist eine Gesellschaft, in der die Menschen immer gesünder und älter werden, um dann in ihrer letzten Lebensstufe, die sich ganz unschön strecken kann, noch zum willigen, oft aber auch schon hilflosen Abnehmer der Segnungen der pharmazeutischen Industrie und der Apparatemedizin zu degenerieren, intravenöse Ernährung und künstliche Beatmung eingeschlossen. Einer der dümmsten Sprüche, die derzeit kursieren, lautet: Das Alter ist nichts für Feiglinge. So gesehen muss es ja von Mutigen wimmeln in unserem Land, zu sehen bekommt man seltsamerweise überwiegend Missmutige - mit oder ohne Rollator. Da drehe ich mir doch lieber einen Joint.