Jahresrückblick 2016
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Postfaktisch bzw. posttruth (wie es im Englischen heißt) ist zum Wort des Jahres gekürt worden. Aber auch das Gefasel von einem postfaktischen Zeitalter ändert nichts an der unumstößlichen Tatsache, dass wir alle sterben müssen. Das ist in der Regel, außer (aber auch nicht immer) für die nächsten Angehörigen, kein großes Unglück, sondern der Lauf der Welt. Die Friedhöfe sind voll mit Menschen, die sich für unentbehrlich hielten, und für viele von ihnen gilt, was ein kluger Zyniker einmal gesagt hat: Sie hinterlassen eine Lücke, die sie ersetzt. Das ist bei einigen Menschen, die mit einer besonderen Gabe ausgestattet sind, von der sie auch Gebrauch gemacht haben, anders. Sie hinterlassen eine Lücke, die schmerzt, ihr Tod macht viele ärmer und die Welt etwas dunkler. Wer z.B. mehrere Platten oder CDs von David Bowie besitzt, dem stand David Bowie näher als Onkel Karlheinz oder ein Cousin zweiten Grades, nennen wir ihn Kevin-Marcel, den man alle paar Monate mal zu sehen bekommt. Und so ist mit David Bowie gleich zu Beginn dieses Jahres ein im doppeltem Wortsinn guter Bekannter von uns gegangen, kurz nach Erscheinen seines letzten Albums, das natürlich im Nachhinein wie ein Vermächtnis wirkt. Und als hätte das Jahr 2016 so etwas wie Sinn für bittere Ironie oder für Dramaturgie stirbt kurz vor Jahresende noch ein guter alter Bekannter, kurz nach Erscheinen seines letzten Albums, das natürlich im Nachhinein usw. Es ist mehr als ein billiger Trost, dass von David Bowie und Leonard Cohen ihre Songs bleiben. Ihre Stimmen und ihr Aussehen in verschiedenen Lebensaltern ist auf vielen Ton- und Bildträgern gespeichert. Und doch ist die leibhaftige Präsenz nicht zu ersetzen, der Tod von solchen Größen macht aus ihren Zeitgenossen Hinterbliebene und das ist ein Status, auf den man gerne verzichten würde. "So long Leonard“ und all die anderen, die in diesem Jahr vom Sensenmann dahingemäht wurden: Prince, Keith Emerson (dessen Selbstmord mich als alten Nice- und ELP-Fan besonders schmerzt), Götz George, Roger Willemsen, Muhammad Ali, Manfred Krug... 2016 ist ein Jahr mit Trauerrand.
Und während viele von den Besten für immer gegangen sind, sind in diesem Jahr manche ganz groß herausgekommen, die diese Welt so nötig hat wie unsereins eine Analfistel oder einen Reizhusten. Es ist leicht Konsens darüber herzustellen, dass Donald Trump ein Unsympath, ein Rassist, ein besonders schmieriger Zeitgenosse ist. Jetzt wird er wider Erwarten US-Präsident, was zeigt, dass in den USA wie in einigen europäischen Ländern ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung den Konsens darüber aufgekündigt hat, was politisch und gesellschaftlich tolerabel ist. Ich erwarte nichts Gutes von ihm, aber die Selbstgefälligkeit der Trump-Kritiker in Berlin und Brüssel geht mir doch gegen den Strich - Sie tun ja gerade so, als wäre die Welt, die sie nach ihren Regeln eingerichtet haben, in Ordnung und jetzt kommt so ein milliardenschwerer Rüpel daher und bringt alles durcheinander.
Die vermeintliche Alternativlosigkeit der bundesdeutschen Politik hat u.a. dafür gesorgt, dass viele eine zur Partei geronnene "Alternative für Deutschland“ wählen, die doch gar keine Alternativen zu bieten hat, sondern nur ein Sammelsurium aus Ressentiments und geistigen Restbeständen aus der Asservatenkammer der Geschichte. Dazu beigetragen, dass die AfD groß geworden ist, haben auf ihre Weise auch die wohlmeinenden öffentlich-rechtlichen Medien. Man sehe und höre die Politiker-Interviews, die Talkshows und die Kommentare und man gewinnt den Eindruck, dass es in der Politik hierzulande vor allem darum geht, wer mit wem welche Koalitionen schließt und bestimmte Posten ergattert, wer wie den politischen Konkurrenten aussticht und bei den Meinungsumfragen vorne liegt. Dabei sollte es bei der Politik doch eigentlich eher um die Zukunft unserer Gesellschaft als um die Zukunft einzelner Politiker gehen. Aber da lese ich doch tatsächlich, eine weitere Kanzlerschaft von Angela Merkel sei alternativlos. Na, wenn das so ist, dann macht halt einfach weiter so. Eigentlich sollte das ein Jahresrückblick mit allem Drum und Dran werden, aber jetzt bin ich doch tatsächlich schon am Textende und habe noch kein Wort über die eigentliche Tragödie dieses Jahres verloren, die Trennung von Sarah und Pietro Lombardi. Mehr davon im nächsten Heft, dann folgt nämlich der Jahresrückblick 2016 Teil II.