Archiv Ausgabe Mai 2021 Musik Querbeet

CD: Marianne Faithfull & Warren Ellis

She Walks In Beauty

Was hat sie nicht alles schon überstanden: Den Machismo des Rock Business, Drogensucht, Obdachlosigkeit, Magersucht, Krebs, eine schwere Infektion nach der Hüft-OP und jetzt auch noch COVID mit seinen tückischen Langzeitfolgen - für die britische Musikerin, die mittlerweile auf 74 Jahre zurückblickt ist praktisch jedes Album ein Comeback vom Ufer des Styx. All dies beschädigte Leben spiegelt sich spätestens seit dem "Broken English"-Comeback Ende der 70er Jahre überdeutlich in der schartigen Stimme von Marianne Faithfull, die gleichzeitig unbändige Beharrlichkeit und mitmenschliche Wärme ausstrahlt.  
 
Auf ihrem jüngsten Album gibt sie mit diesem nach wie vor Gänsehaut erzeugenden Organ die Rezitatorin romantischer, englischer Lyrik. Sie spricht Gedichte von Lord Byron, Percy Shelley, William Wordsworth oder Thomas Hood, Texte über Selbstmörderinnen, Klagelieder und die ausufernde Ballade von Alfred Tennyson über die sagenumwobene, verfluchte Lady of Shalott. Waren Ellis, der neben seiner Tätigkeit als musikalischer Direktor von Nick Cave auch als Komponist viele großartiger Filmmusiken reüssierte, hat Faithfull dazu atmosphärisch dichte, teils an der Kitschgrenze schöne, teils geräuschige Klanglandschaften fabriziert, zu denen ebenso Brian Eno wie Nick Cave beisteuerten.  
Auf deren Hintergrund strahlt Faithfulls Stimme als Großereignis. Ihr Vortrag wirkt bisweilen hypnotisierend, teils schroff monolithisch, stets aber in seiner großen Schlichtheit musikalisch und betörend. Am Ende der literarisch-musikalischen Dreiviertelstunde bedauert man nur noch ein wenig, dass die Grand Dame der Rockgeschichte nicht einmal noch zu Singen anhebt. jf 
 
> Marianne Faithfull & Warren Ellis - "She Walks In Beauty" - BMG