Hauptsache gesund´
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Hauptsache gesund. Dieser Aussage, die zum allgemeinen Phrasenreservoir gehört, wird selten widersprochen. Aber was ist gesund, was ist krank´
Jedem menschlichen Körper ist ein Verfallsdatum eingeschrieben, das der Betreffende selbst nicht kennt. Den Alterungsprozess aufzuhalten, das hat noch keine medizinische Behandlung und kein Anti-Aging-Produkt geschafft. Unsere Lebenserwartung ist größer geworden, aber das ändert nichts am Grundsatz: Der Mensch ist sterblich, seine Lebenszeit ist begrenzt. Ab einem gewissen Zeitpunkt baut der Körper ab, schwinden die Kräfte und die Bewegungsfähigkeit, darum gibt es so selten vierzigjährige Hochleistungssportler, darum sollten dreißigjährige Bundesligaprofis schon mal anfangen ihr Geld auf die hohe Kante zu legen oder sich nach einem Trainerjob umzusehen, denn von nun geht es bergab.
Wer ab einem gewissen Alter sich einfach so beim Arzt durchchecken lässt, der kann sicher sein, dass irgendetwas gefunden wird, was nicht ganz in Ordnung ist und der Behandlung bedarf. Und so ist sie schon dahin, die Leichtigkeit des Seins, fortan ist man nicht mehr einfach nur Mensch, sondern Patient, ist nicht mehr Subjekt, der Bestimmer seines Lebens, sondern fremdbestimmtes Objekt medizinischer Behandlung. Millionen Deutsche scheinen diesen Zustand herbeizusehnen. Sie füllen die Wartezimmer dieser Republik bis an den Rand ihres Fassungsvermögens.
Der grassierende Gesundheitswahn, angeheizt durch Lifestyle-Zeitschriften, aber auch durch diverse öffentlich-rechtliche Gesundheitsmagazine im Fernsehen, deren Prototyp die ZDF-Sendung Gesundheitsmagazin Praxis war, durchdringt mittlerweile den Alltag. Kaum ein Tischgespräch in besseren Kreisen, bei dem es nicht um Kalorien und Vitamine geht. Während bildungsferne Schichten sich in schöner Unwissenheit Currywurst und Pommes zwischen die Kiemen schieben, schwingt beim Bildungsbürger bei jedem Bissen die Angst mit, irgendwelche Schadstoffe und so verdammenswerte Sachen wie Zucker und Fette zu sich nehmen und damit die eigene Gesundheit zu schädigen.
Alle Jahre wieder propagieren Frauenmagazine die neue Frühjahrsdiät, die so wenig anschlägt wie die Frühjahrsdiäten des Vorjahres und der Jahre davor und den Zeitschriften ein stetes Leseinteresse von Frauen sichert, die sich für zu dick halten. Eine Selbsteinschätzung, die zugleich durch die abgebildeten gertenschlanken Models befeuert wird, die die Frühjahrsmode vorführen. So kommt ein für die Zeitschrift (aber nicht nur für sie) gewinnbringender Teufelskreis aus geweckten und enttäuschten Erwartungen in Gang, vom Jojo-Effekt der Diäten gar nicht zu reden.
In keinem Land sind die Menschen so dick wie in den USA, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten und der tausend Diäten. Und trotz dieses Wissens gab und gibt es in den letzten Jahren von der Politik angeleierte Initiativen gegen Dicksein bei Kindern und Jugendlichen, die Unsummen kosten, deren Wirkung aber, da kann man sicher sein, gegen Null tendiert. Wer an den traurigen Überresten aufgegebener Trimmdich-Pfade aus den 70er- und 80er-Jahren vorbeispaziert, der kann an der Vergeblichkeit staatlich initiierter Gesundheits- und Fitnesskampagnen keinen Zweifel mehr haben.
Wenn, wie ich kürzlich gehört habe, bei Kindergeburtstagen in der Kita die Geburtstagstorte durch Karottenstifte ersetzt wird, dann bestehen allerdings beste Chancen den Kleinen neben der Feierlaune auch die Lust auf frisches Gemüse beizeiten auszutreiben. Natürlich sollten Kinder (und nicht nur sie) sich mehr bewegen, aber die natürliche Bewegungslust wird in der Regel gleich kanalisiert und kommerzialisiert. Die Alten machen es ihnen vor.
Da wird nicht einfach gewandert, sondern mit zwei Stöcken durch die Gegend gestakst, da wird nicht einfach gelaufen, da wird gejoggt am besten mit der entsprechend teuren Ausrüstung von den Schuhen mit eingebauten Kilometerzähler bis hin zum atmungsaktiven Trikot.
Es ist ja gar nichts dagegen zu sagen, es schafft Arbeitsplätze und trägt zum Bruttosozialprodukt bei, aber wer je einen voll ausgerüsteten Sportsmann erlebt hat, der sein Auto so nah wie irgend möglich an der Joggingstrecke parkt, um nur keinen Meter einfach so zu Fuß zurückzulegen, der weiß, dass hier die Bewegung Fetischcharakter angenommen hat, nicht mehr als natürlicher und selbstverständlicher Bestandteil des Lebens betrachtet wird sondern als Exerzitium, das nur auf bestimmten Strecken und in bestimmter Verkleidung auszuüben ist.
Wer ständig an seine Gesundheit denkt, der ist wie ein Autofahrer, der sein Auto alle paar Kilometer in die Werkstatt bringt, anstatt einfach damit loszufahren, so lange es halt geht. Unser Körper muss nicht ständig gewartet werden, er ist in der Regel robust genug, um ein paar Räusche, die auch zur Lebenserfahrung gehören, weihnachtliche Völlereien, Muttis Kaffeetisch, die Rauchzeichen des paffenden Nebensitzers und die ständigen Angriffe von Viren, Bakterien und Umweltgiften, die uns ohnehin umgeben da können wir machen, was wir wollen zu überstehen.
Zuviel Gesundheit ist eben ungesund, auch für unsere Gesellschaft, der es viel besser ginge, wenn sich die Ärzte und Krankenhäuser um die wirklich Kranken und nicht auch um die Millionen ums Verrecken gesund sein wollenden eingebildeten Kranken kümmern würde.