Archiv Ausgabe Januar 2011 Verschiedenes Herbies Cartoon

Zum Jahr 2010

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„Die Schweden sind keine Brasilianer. Das sieht man ganz genau.“ Auf dem Niveau dieses typischen Beckenbauer-Spruchs bewegen sich auch die streng geheimen Einschätzungen deutscher Spitzenpolitiker durch die US-Diplomatie, die dank Wikileaks das Licht der Öffentlichkeit erblicken durften. „He´s no Genscher“ ist da über unseren Außenminister Guido Westerwelle zu lesen. Aber ist eigentlich jemals irgendjemand draufgekommen, dass Westerwelle und Genscher identisch oder zumindest teilidentisch sein könnten´ Man achte doch nur mal auf die Ohren.  
 
Scherz beiseite! Zumindest was diese Enthüllungen angeht, erschöpft sich der aufklärerische Anspruch von Wikileaks in Banalitäten. Dass man zuhause und hinter dem Rücken anders über mehr oder weniger gut bekannte Bekannte redet als in der Öffentlichkeit oder bei der direkten Konfrontation mit dem Betreffenden, dürfte eigentlich jedem aus eigener Erfahrung vertraut sein. Viele private und geschäftliche Telefonanrufe enden etwa wie folgt: „Schönen Tag noch! Auf Wiederhören! Arschloch!“ Wobei „Arschloch“ natürlich auch durch Ausdrücke wie „Blöde Kuh“oder „Dummer Hund“ ersetzt werden kann. Noch wichtiger als die Atempause zwischen dem vorletzten und letzten Satz ist das Auflegen des Telefonhörers oder das Drücken der Taste, mit der die Verbindung beendet wird.  
 
Sollte das vergessen werden oder aus irgendeinem Grund schief gehen, dann kann es zu schweren Verstimmungen zwischen den Telefonierenden kommen, die auch nicht im Sinne des Beleidigers wider Willen sind. Unser Zusammenleben funktioniert nur deshalb einigermaßen, weil wir in der Regel das Telefon rechtzeitig auflegen, weil wir nicht wissen und im Grunde auch nicht wissen wollen, was der andere wirklich von uns hält. So funktioniert das auch in der „großen“ Politik. Die Forderung nach absoluter Ehrlichkeit und Transparenz auf allen Gebieten ist Heuchelei. Etwas ganz anderes ist es führende Politiker dabei zu ertappen und das auch öffentlich zu machen, wenn sie mit Lügen und falschen Zahlen operieren, wenn sie von Frieden sprechen und den Krieg vorbereiten. Die kleinen Misshelligkeiten zwischen unserem politischen Personal und ihren amerikanischen Freunden sind mir (und nicht nur mir) hingegen schnuppe. 
 
 
„Es gibt keinen Grund zur Hysterie“. So verkündeten es unisono führende Polizeibeamte und Politiker bis hinauf zum Bundesinnenminister in den Tagen, als eine diffuse Terrorwarnung die Runde machte. Nein, nein, wir lassen uns unser demokratisches Gemeinwesen, unseren offenen Lebensstil nicht von islamistischen Fanatikern kaputt machen. Aber mal für ein paar Tage den Reichstag einzäunen, die Kuppel für Besucher sperren, die Weihnachtsmärkte, Bahnhöfe und Flughäfen mit einem verstärkten Aufgebot an überlasteten Polizisten (die anderswo, wo sie dringend benötigt werden, fehlen) überwachen lassen, das machen wir schon.  
 
Was wird dann eigentlich erst passieren, wenn es tatsächlich mal einen Anschlag geben sollte, besteht dann Grund zur Hysterie´ Und was macht man dann mit dieser Hysterie´ Nichts Gescheites nehme ich an, nichts, was auch nur irgendwie gewinnbringend sein könnte im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Abseits der streng medizinischen Begrifflichkeit steht der Begriff „Hysterie“ im Allgemeinen für emotional übertriebene, undurchdachte und unangemessene Verhaltens- und Reaktionsweisen. Also besteht doch recht besehen eigentlich nie ein Grund zur Hysterie, weil sie immer die falsche Reaktion ist. Und weil dem so ist, gibt es auch keinen Grund zu sagen, dass es keinen Grund zur Hysterie gibt, diese Aussage suggeriert nämlich, es könnte auch einmal der gegenteilige Fall eintreten. Das werden wir aber nicht erleben, dass der Innenminister dem Volk verkündet: „Es gibt Grund zur Hysterie“. Geben wird es sie trotzdem und es gibt sie auch jetzt schon, die grundlose Hysterie, siehe das Rauchverbot an allen Orten, der grassierende Castingshow-Wahn, die krankhafte Sucht immer und überall erreichbar zu sein...... 
 
Mein Unwort des Jahres lautet übrigens „authentisch“. Dumm nur, dass schon ein Kolumnist der Süddeutschen darauf gekommen ist. Authentisch, wie ich bin, stehe ich aber dazu. „Authentisch“ ist ein feuchter Dreck von einem Wort wie auch die Aufforderung „Sei du selbst“. Begreifen die Leute, die dieses Wort gebrauchen, denn nicht, dass Paris Hilton, weil sie Sein und Schein vollkommen in Übereinstimmung bringt, „authentischer“ ist als ein Biobauer, der in die Politik geht (wie ein gewisser Sepp Daxenberger, der bayrische Ex-Grünen -Vorsitzende, dem nach seinem frühzeitigen Ableben im Sommer 2010 von allen Seiten bescheinigt wurde, „authentisch“ gewesen zu sein). Die Strafe folgt beim Benutzen dieses nichtsnutzigen Wortes übrigens auf den Fuß. Wer „authentisch“ sagt, versucht auch oft „Authentizität“ zu sagen und das geht meistens schief – zu Recht. So genug geschrieben für dieses Jahr. Zwischen den Jahren gönne ich mir und meinen Christbaum mal ein kleines Burn-Out-Syndrom.