Dr. mabuse
Wem die Stunde schlägt
Vor einem Jahr schrieb ich in meinem Rückblick auf das Jahr 2004 als Reflex auf die zweite Pisa-Studie: Wesentlich weitergekommen sind auch die deutschen Schüler nicht, denen drei Jahre nach der ersten Pisa-Studie bescheinigt wurde, dass sie nichts dazu gelernt haben. Alles andere wäre auch erstaunlich gewesen, schließlich kann man nicht in drei Schuljahren das ganze deutsche Schulsystem umkrempeln, vor allem, wenn man nicht weiß wie und wozu. Deshalb ein kleiner Tipp an alle Verantwortlichen: Wie wäre es, die Schule später beginnen zu lassen´ Die bisherigen Anfangszeiten, die Anno Tobak eingeführt wurden, als der Familienvater in aller Herrgottsfrühe aufs Feld oder ins Bergwerk fuhr, rauben den Schulkindern (und auch den Eltern) den dringend notwendigen Schlaf. Egal, ob Grund-, Haupt-,. Realschule, Gymnasium und Gesamtschule: Schulbeginn neun Uhr. Das ist die Lösung - und die nächste Pisastudie kann kommen.
Es ist schön sich selbst zitieren zu dürfen, das spart Zeit und Gehirnschmalz. Noch schöner ist es allerdings, dass kein geringerer als unser baden-württembergischer Ministerpräsident Erwin Teufel, Pardon Günter Oettinger natürlich, auf die Idee gekommen ist, sich den Vorschlag von Dr. Mabuse zu eigen zu machen. Wahrscheinlich hat er kurz vor Jahresende in der Pressemappe geblättert, die ihm sein Ausschnittdienst hingelegt hat und ist dabei auf die Mabuse-Kolumne gestoßen. Ha no, des isch ä Ding oder so ähnlich (man weiß ja nicht recht, wie sich schwäbische Ministerpräsidenten mit sich selbst unterhalten) wird er sich gesagt haben und schon kurze Zeit später teilte Herr Oettinger dem Spiegel mit, man könne die Schulglocke eine halbe oder ganze Stunde später läuten lassen. Der Satz hallte nach. Da klingelte es in den Ohren vieler ehemaliger Schüler und ehemalige Schüler sind wir schließlich alle in unserem Gemeinwesen, wenn wir nicht gerade akut Schüler sind, aber die haben, unreif und unausgewachsen, in der Bildungsdebatte überhaupt nichts zu sagen. Was da klingelte, das war der Widerhall der Schulglocke, die uns selbst durch die Kindheit geläutet hat, ein hässliches Geräusch, das nicht nur den Beginn des Unterrichtes, sondern auch das Ende des Dämmerschlafes markierte, in den die meisten Schüler verfallen, wenn sie sich in aller Herrgottsfrühe aus dem Bett erhoben und zur Schule geschleppt haben. Unerbittlich verscheuchte die Schulglocke den Traumrest, der einem das Gehirn vernebelte. Da der Mensch aber nun mal keine Maschine ist, kann man den Schalter nicht so schnell umlegen. Zwischen Schlafen und Wachsein liegt eine Grauzone, die erst überwunden werden muss. Unser Gefühls- und Geistesleben funktioniert analog, nicht digital. Und da wir alle Einzelanfertigungen sind, brauchen wir unterschiedlich viel Zeit. Aber die Zeit, die uns der frühe Schulbeginn gelassen hat, die war, seien wir mal ehrlich, in der Regel immer zu kurz. Man hatte sich darin eingerichtet, hatte es hingenommen, wie eine göttliche Fügung: Du sollst frühaufstehen. Auch die Eltern, die die ganze Zeit predigten, dass Kinder viel Schlaf brauchen, fanden es ganz normal, dass sie ihre schulpflichtigen Kinder abends zum Einschlafen nötigen mussten (was auch beim besten Willen auf beiden Seiten nicht funktionieren kann), um sie morgens aus dem dringend benötigten Schlaf zu reißen.Und die Lehrer störten sich nicht weiter daran, dass sie es in der ersten Unterrichtstunde mit Wachkomapatienten zu tun hatten.
Aber warum schreibe ich in der Vergangenheitsform´ Es ist ja immer noch so und wenn es nach den Bedenkenträgern geht, die sich auf Oettingers Vorstoß hin, zu Wort gemeldet haben, dann wird es auch weiterhin so bleiben. Natürlich wird der Tag nicht dadurch länger, dass man das Tagwerk eine Stunde später beginnt und natürlich kommen die Kinder, wenn es bei der bisherigen Unterrichtsplanung bleibt, später nach Hause. Aber wie wäre es, wenn man einfach daran geht, erst einmal das, was so offensichtlich falsch und widersinnig ist, zu korrigieren und d.h. den äußeren Tagesablauf mit der inneren Uhr der Schulkinder zu synchronisieren!´
Und als Maßnahme zur Entlastung von Kindern und Eltern empfehle ich doch einmal die weitgehende Abschaffung der Hausaufgaben, die die Schule in den häuslichen Alltag hineinverlängern und Eltern zu Hilfslehrern machen. Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt, hat der große Friedrich Schiller einmal festgestellt. Wenn man den Kindern (aber auch den Eltern) die Zeit nimmt, sich außerhalb des Leistungsprinzips und der Bildungspläne einfach mit sich selber zu beschäftigen, dann ist einem offenbar ein halber Mensch genug.
Es ist gut und richtig, dass es in diesem Land, wie in jedem zivilisierten Staat, eine Schulpflicht gibt, aber das bedeutet nicht, dass ein Kind mit dem Eintritt in die Schule die Kindheit verlässt und ganz und gar zum Schüler wird. Es gibt auch noch ein Leben, das von keinem Lehrstoff und keinem Zeugnis erfasst wird - und das ist gut so.