Archiv Ausgabe Dezember 2012 Verschiedenes Herbies Cartoon

Leben mit dem Tod, Fernsehen inklusive

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„Bedenke, dass du sterblich bist“, soll zu Zeiten des römischen Imperiums ein Sklave, dem lorbeerbekränzten siegreichen Feldherrn beim Triumphzug immer wieder mahnend zuge-rufen haben, auf dass der nicht übermütig werde. „Sie werden sterben“ rief die ARD dem Gebührenzahler im grauen, trüben November in dicken Lettern zu. Eine Woche lang stand Sterben auf dem Programm des Ersten, in Talkshows, Dokumentationen und Spielfilmen ging es um die letzten Dinge, die so schwer zu fassen sind. Es war gut gemeint, aber auch zuviel des Guten. Denn eigentlich hat jeder, der seine Sinne beisammen hat, es irgendwann kapiert: Ich werde sterben. Milliarden Menschen sind vor uns den Weg allen Fleisches ge-gangen und wer alt genug wird, erlebt in der Regel, wie die Großeltern und die Eltern zu Grabe getragen werden und kann sich an drei Fingern einer Hand ausrechnen, wer als nächstes dran ist. .  
 
Die Berichte von Menschen, die nicht gestorben sind beziehungsweise ihren Tod überlebt haben, zum Beispiel Lazarus und Jesus sind schlecht dokumentiert und - mit Verlaub gesagt – nicht ganz koscher. Auch kann man nun wirklich nicht behaupten, dass man sich damit endlich eines Tabu-Themas angenommen habe. Ich könnte aus dem Stegreif mehrere Filme über Sterben und Sterbende aus den vergangenen Jahren nennen ( und das will was heißen, bei meinem immer poröser werdenden Gedächtnis), darunter waren auch einige Dokumentationen, bei denen wirklich fast bis zum Schluss die Kamera draufgehalten wurde, als einer/eine das Zeitliche gesegnet, den Löffel abgegeben, den letz-ten Schnaufer gemacht hat. Zugegebenermaßen liefen solche Sendungen in der Regel in irgendwelchen dritten Programmen, auf Arte und 3Sat zu nachtschlafender Zeit. Echte Todkranke sind nun mal keine Quotenbringer, der Krebs in allen seinen Spielarten turnt ab und ein Happyend ist beim besten Willen nicht zu haben. Da mag die ARD nun aus-nahmsweise für eine Woche ein paar Schicksale zur besten Sendezeit präsentiert haben, die man normalerweise im Nachtprogramm versteckt hätte, aber nicht ohne die bitteren Pillen dabei zumindest ein wenig zu versüßen.  
 
Hospiz-Mitarbeiter berichteten, wie befriedigend ihre Arbeit sein kann, Schwerstkranke vermittelten den Eindruck mit sich und der Welt im Reinen zu sein und Menschen, die dem Tod von der Schippe gesprungen waren, redeten über Nahtoderlebnisse, deren Aussagekraft in Bezug auf ein Weiterleben nach dem Tode ich allerdings für fragwürdig halte - die Betonung liegt eben auf „Nah“. Wären sie tot, hätten sie nichts mehr zu berichten. Dass sie sich selbst als schwerelos über allem schwe-bend und total glücklich empfanden, liegt daran, dass sie eben noch einen lebendigen, zu solchen Empfindungen fähigen Körper hatten. Es ist nicht anzunehmen, dass eine Leiche im Sarg oder gar ein Häuflein Asche in der Urne solche schönen Halluzinationen hervor-bringen kann - und das ist ja auch gut so. Vielleicht würde einem dieser seligmachende Schwebezustand irgendwann so gehörig auf den Wecker gehen wie dem Münchner im Himmel das ewige Frohlocken („Lujah, sag I, Zefix Hallelujah“) und Hosianna-Singen auf einer Wolke. Und weit und breit kein Wirtshaus in Sicht. " 
 
Ich hasse die Realität, aber es ist der einzige Ort, an dem man ein gutes Steak bekommt“, stellte Woody Allen fest. (Vegetarier können das Steak ja durch Gemüseauflauf oder Kartoffelgratin ersetzen) Sagt man anstelle von „Realität“, „Leben“ hat man schon eine schöne Begründung, was das Leben vom Tod grundsätzlich unterscheidet: Die Fülle von Möglichkeiten auf der einen Seite, der tota-le Mangel daran auf der anderen. Vom Woody Allen stammt auch der Spruch: „Ich habe keine Angst vor dem Tod, aber ich möchte nicht dabei sein, wenn es passiert.“ Und weil die meisten, zumindest so lange es ihnen gut geht, nicht dabei sein möchten, wenn es passiert, gibt es ein verständliches Bedürfnis nach Verdrängung, nach Nicht-Wahrnehmung des Unvermeidlichen.  
 
Es lebt sich leichter, wenn man nicht ständig daran denkt, dass irgend-wann der Sensenmann mit dürren Knöchel an die Türe klopft. Das „Memento Mori“ be-kommen wir noch oft genug zu hören, dazu muss man nur das Radio oder den Fernseher einschalten oder die Zeitung aufschlagen. Auf einem ganz anderen Blatt stehen die zahlrei-chen Toten, die uns das Fernsehen frei Haus serviert, ganze Leichenberge werden da Wo-che für Woche in Dutzenden von Serienkrimis aufgehäuft, kein Krimi ohne Leiche und kein Tag ohne Krimi. Es ist ein Tod, dem kein Sterben vorausgeht, es ist ein Tod, der keine Erschütterung auslöst, sondern nur Ermittlungen von einem in der Regel sogar recht gutgelaunten Ermittlerduo. „Tod, wo ist dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg“ mag der Bibelkundige sich angesichts des fröhlichen Massenmordes fragen. Ist das vielleicht eine etwas verquere Art dem Fernsehzuschauer die Angst vor dem Tod zu nehmen? 
 
In den Regional-krimis ist der Sensenmann vollends zum Mainzelmännchen mutiert, der Tod ist ein Klacks und eine Leiche, die in der Gegend rumliegt, gehört gewissermaßen zum Landschaftsbild. Darüber hätte sich die ARD im Rahmen ihrer Themenwoche auch einmal Gedanken ma-chen können, es wäre Aufklärung in eigener Sache gewesen. Aber daran war man offenbar nicht interessiert. Versäumtes lässt sich nachholen bei der nächsten Themenwoche zum selben Thema, das ebenso erschöpfend wie unerschöpflich ist. Robert Gernhardt hat ange-sichts seines eigenen nahen Todes die Verse geschrieben:  
 
„- Sag wie hältst du´mit dem To-de?/Gut, mich dazu zu befragen./Habe ihn stets in mir getragen, /kann heut mit Bestimmtheit sagen:/Der kommt niemals aus der Mode.“ Wobei ich vorschlagen würde, die-se Todes- äh Themenwoche in einen Sommermonat zu verlegen, dann sieht die Sache, über die man so viel reden und so wenig sagen kann, schon mal etwas freundlicher aus, “wenn alles hell ist und die Erde für Spaten leicht“, um mit Gottfried Benn zu reden, der dann auch tatsächlich, wie gewünscht, im Sommer gestorben ist. Das wünsche ich Ihnen nicht. Bis zum Beweis des Gegenteils ist Leben die reizvollere Alternative.