Archiv Ausgabe April 2007 Verschiedenes Meldungen

Kommentar:Die Welt spricht Englisch... 

...und Baden Französisch !

Die Sprache des Nachbarn - das ist in der Regel Deutsch, in vielen Fällen auch Türkisch, Russisch, Italienisch, Spanisch, Serbokroatisch. Französisch ist es nur in sehr seltenen Fällen.  
 
Zugegeben: In größeren globalen Zusammenhängen gesehen ist Frankreich unser Nachbar, genauer gesagt, das Elsass; da fahren viele Badener gerne hin, um einzukaufen oder mal gut zu essen. Und weil den Elsässern ihr ureigenes Elsässerditsch, eine Spielart des Alemannischen, das man auch auf der anderen Seite des Rheins spricht, weitgehend abhanden gekommen ist, wäre es bei solchen Besuchen gar nicht schlecht Französisch parlieren zu können, wenn auch im Grunde für die punktuellen Kontakte mit dem linksrheinischen Nachbarn ein Wortschatz ausreicht, der auf einen Bierdeckel passt. Bei denen, die im Elsass ihr Häusle haben oder dort arbeiten (das sind gerade mal 500 Baden-Württemberger) sieht die Sache anders aus. Schön wäre es freilich, wenn einem die französische Sprache nur so von den Lippen fließen würde. Das tut sie aber in der Regel nicht und das wird sie auch nicht tun, wenn Französisch, wie von der Landesregierung vorgesehen, als verpflichtende Erstsprache an den Gymnasien der so genannten Rheinschiene eingeführt wird.  
 
Aus purer Profilierungssucht ! 
 
Das ist eine Hinterlassenschaft der damaligen Kultusministerin Annette Schavan, die 2001 die Grundschulfremdsprache Französisch eingeführt hat – ohne Not, aus purer Profilierungssucht. Mittlerweile ist sie da, wo sie hinkommen wollte, in Berlin als Bundesbildungsministerin. Die Folgen ihrer Fehlentscheidungen können andere ausbaden, die Schulkinder und ihre Eltern aus Baden.  
Bisher konnten sie je nach dem Sprachenangebot der Gymnasien über die Fremdsprachenfolge entscheiden. Eine solche Wahl ist ab dem neuen Schuljahr kaum noch möglich, denn wenn Französisch als erste Fremdsprache festgeschrieben ist, wird den meisten kaum etwas anderes übrig bleiben als Englisch zur zweiten Fremdsprache zu machen. Das ist erstens geboten, um im Falle eines Schulen- oder Schulartenwechsels, der ja in unserer mobilen Gesellschaft keine Ausnahme ist, nicht in die Röhre zu gucken und zweitens, um im oft beschworenen globalen Wettbewerb nicht auf der Strecke zu bleiben.  
 
Die dominierende Weltsprache ist nun einmal Englisch. Englisch spricht der Computer mit uns. Englisch tönen die meisten Lieder, die wir hören. Englisch ist die Sprache der Naturwissenschaften und die Firmensprache in grenzübergreifend agierenden Firmen, Englisch funktioniert fast immer und weltweit als Verständnisbasis bei der Begegnung mit Menschen, die kein Deutsch sprechen. Auf diesen Sachverhalt, den man nicht gut heißen, den man aber zur Kenntnis nehmen muss, haben die Bildungsministerien in anderen Ländern mit der Einführung von Englisch als erste Fremdsprache reagiert.  
Nur entlang der Rheinschiene ist das anders. Indem Französisch als erste Fremdsprache gesetzt ist und an Englisch aus den gerade beschriebenen Gründen eigentlich kein Weg vorbei führt, werden die meisten Kinder, darunter auch die weniger sprachbegabten und mehr naturwissenschaftlich interessierten, dazu gezwungen, zwei moderne Fremdsprachen auf einmal zu lernen. Viele Eltern wissen noch aus eigener schmerzlicher Erfahrung, dass Französisch eine komplexe Sprache ist, die nicht jedem liegt und eingeht.  
Aber unseren Kindern, deren Gehirnkapazität wohl unerschöpflich ist, mutet man zu sich in Französisch einzuarbeiten und gleichzeitig beschleunigt Englisch zu lernen, um in 8, 7 oder 6 Jahren auf den Leistungsstand von Abiturienten zu kommen, die sich 12 Jahre mit Englisch befasst haben. Das alles in Zeiten von G 8 (Anmerkung: Das ist ebenfalls eine fragwürdige Hinterlassenschaft von Frau Schavan, die die Gymnasialzeit von neun auf acht Jahre verkürzt hat, mit dem Erfolg, dass die tägliche Belastung für die Schulkinder noch größer geworden ist).  
Die Bevorzugung von Französisch hat auch fatale Folgen für das Schulfach Latein, das mehr und mehr in die Ecke gedrängt wird. Die Kombination Englisch und Latein haben viele gewählt, die mit Französisch nichts am Hut haben, eher in die naturwissenschaftliche Richtung tendieren und/oder von der richtigen Vorstellung ausgehen, dass sich auf der Grundlage von Latein die romanischen Sprachen und auch das Englische besser begreifen und leichter erlernen lassen. Diese Kombination ist nun nur noch ausnahmsweise an einigen humanistischen Gymnasien möglich, an denen sich wiederum angehende Naturwissenschaftler deplatziert fühlen.  
Einem Schüler, der sich für Französisch und Latein entscheidet und erst ab der achten Klasse Englisch bekommt, kann es beim vorzeitigen Wechsel in die Realschule passieren, dass er überhaupt keine Englischkenntnisse vorweisen kann. Kein Problem sagt Kultusminister Rau: Solche Fälle oder der Umzug in den württembergischen Landesteil „sind individuelle Prozesse, die pädagogisch begleitet werden müssen, zum Beispiel durch individuell gestaltete Nachlernprogramme oder Nachlernfristen“. Als hätten die armen Schüler, die aus welchen Gründen auch immer die Schule wechseln, nicht schon genug Probleme am Hals. Woher die Mittel und die Lehrkräfte für diese Nachlernprogramme kommen sollen, verrät Rau nicht.  
Bei der Politik der Landesregierung, die die Prognose schwindender Schülerzahlen dankbar zum Anlass genommen hat, Lehrerstellen zu streichen anstatt Klassen zu verkleinern und die Unterrichtsversorgung zu verbessern, darf man vermuten, dass die Eltern und Kinder letztlich mit der Bewältigung dieses individuellen Prozesses allein fertig werden müssen.  
 
Machtlose Eltern ! 
 
Von positiven Rückmeldungen ist bei Rau die Rede und der Landtagsabgeordnete Manfred Groh (besser bekannt als ehemaliger Karlsruher Bürgermeister) hat nach eigenem Bekunden mit vielen Eltern gesprochen, die die Landesregierung dazu auffordern, den einmal eingeschlagenen Weg weiterzugehen.  
Da müssen die Herren wohl über ein sehr selektives Wahrnehmungsvermögen verfügen, denn die meisten Eltern sind dagegen, aber deren Interessen vertritt nicht diese Landesregierung, sondern der machtlose Landeselternbeirat, der auf seiner Homepage (www.leb.bw.de) weitere Argumente gegen den Französischzwang ins Felde führt. Dagegen sind auch die meisten Lehrerinnen und Lehrer, die ebenfalls nicht um Rat gefragt wurden. Die GEW Baden-Württemberg unterstützt Aktivitäten und Initiativen gegen die unsinnige Regelung (schulen@gew-bw.de mit dem Betreff „Französisch 1.Fremdsprache).  
Aber natürlich bleibt es jedem unbenommen sich an die Landtagsabgeordneten - am besten an die der regierenden CDU - aus der Region zu wenden - wobei wie das Beispiel Groh zeigt, deren Einsichtsfähigkeit nicht überschätzt werden sollte. Und so steht zu befürchten, dass in Zukunft viele Schülerinnen und Schüler von der Rheinschiene auf dem Abstellgleis landen.  
 
Awwer Hauptsach sie könne ä bissle Französisch schwätze. N´est-ce pas´