Archiv Ausgabe Oktober 2008 Verschiedenes Herbies Cartoon

Wie bastele ich mir einen Nazi

Helmut Schmidt lebt noch und wird im Dezember neunzig Jahre alt. Herzlichen Glückwunsch schon mal. Adolf Hitler lebt auch noch. Im April nächsten Jahres wird er 120 Jahre alt. Wie bitte´ Adolf Hitler ist tot, er hat im Führerbunker am 30. April 1945 Selbstmord begangen. So steht es in den Geschichtsbüchern und so war es auch im Film „Der Untergang“ zu sehen. Stimmt schon, aber wie heißt es so schön in manchen Todesanzeigen: “Auch wenn er nicht mehr unter uns ist/ so ist er immer bei uns“. Und wer könnte geschlagene 63 Jahre nach seinem irdischen Hinscheiden mehr bei uns sein als der Mann aus Braunau, der eigentlich Schicklgruber hätte heißen müssen. Der Schnauzbartträger ist noch immer in aller Munde.  
Der Altkanzler und Kettenraucher Helmut Schmidt hat Oskar Lafontaine in die Nähe von Hitler gerückt, den er nur noch bei seinem Spitznamen Adolf Nazi nennt. Warum´ Weil Lafontaine Charisma hat und ein guter Redner ist wie eben auch Adolf Hitler. Alles klar´ Oskar Lafontaine, just 65 geworden und nicht ganz zu unrecht stolz wie Oskar, weil um seine kleine Partei gerade mächtig viel Wirbel gemacht wird, konterte gelassen: Helmut Schmidt sei auch charismatisch und ein guter Redner. Ein paar Journalisten, deren Gedächtnis weiterreicht als bis zur Zeitungs- bzw. Internetlektüre des Vortags haben sich und andere daran erinnert, dass Lafontaine dem Schmidt einmal eins auswischte mit der Aussage, dass man mit den von Schmidt hochgehaltenen Sekundärtugenden wie Standfestigkeit und Disziplin auch ein KZ führen könne. Das ist richtig, aber Lafontaine hätte ja auch sagen können, dass man mit Standfestigkeit und Disziplin einen Tante-Emma-Laden führen oder einen Getränkehandel betreiben könne. Und Schmidt hätte Lafontaine z.B. mit Franz Josef Strauß vergleichen können, der war schließlich ein begnadeter Redner und Demagoge. Aber das hätte halt kaum einer registriert. Das wäre keine Schlagzeile wert gewesen!  
Übrigens: Barack Obama ist charismatisch, redet gut und - wenn man genau hinsieht - ist er auch nicht schwarz, sondern braun. Na, Mister Mc Cain, liegt Ihnen da nicht was auf der Zunge!  
Wer mediales Interesse mit Vergleichen und historischen Analogien erregen will, der muss die schlimmsten Geister der deutschen Vergangenheit beschwören. Das dachte sich wohl auch das Staatsoberhaupt von Liechtenstein, Fürst Hans Adam, als er ausgerechnet in einem Brief an das Jüdische Museum in Berlin etwas vom Vierten Reich faselte, das er auch noch überleben werde. Zum Vergleich von Angela Merkel mit Adolf Hitler hat der fürstliche Übermut wohl nicht mehr gereicht. Für alle, denen gar nichts mehr einfällt, wenn sie unliebsame Zeitgenossen schmähen, sie richtig in die braune Soße tunken wollen, hier ein paar kleine Fingerzeige.  
Ein bisschen Geschichtskenntnis vorausgesetzt, tut sich ein Meer von Möglichkeiten auf. Die Nazis haben zum Beispiel das erste deutsche Tierschutzgesetz gemacht, demnach sind alle Tierschützer Nazis, vor allem natürlich für Pelzhändler und Legebatterienbesitzer, die sich lästige Tierschutzaktivisten vom Hals halten wollen. Die wiederum haben den Ausdruck KZ-Hühner geprägt, was automatisch jeden Legebatterien-Ei-Esser zum Mitschuldigen macht am millionenfachen Hühnerleid, das offenbar nur noch mit dem Leid von Nazi-Opfern verglichen werden kann. Die Nazis haben gleich nach der Machtübernahme den Muttertag zu einem gesetzlichen Feiertag gemacht. Was sind also Kinder, die an diesem Nazi-Festtag ihre Gebärerin mit Blumen und Pralinen beschenken´ Eine braune Brut, Mini-Nazis, da mögen sie noch so niedlich aus der Wäsche gucken. Mittlerweile dürfte sich auch rum gesprochen haben, dass der Schäferhundbesitzer, Vegetarier und Abstinenzler Adolf Hitler Raucher als Angehörige minderer Rassen diffamierte und das Nichtrauchen propagierte. Es wäre also ein Leichtes einen harmlosen Mitmenschen, der sich des Alkohols, des Nikotins, des Fleisches enthält und einen Hund hätschelt in die Nähe von Adolf Nazi zu rücken. Wobei man sich, um die vermeintliche Analogie auf die Spitze zu treiben, als Raucher einen imaginären Judenstern anheften könnte, als verfolgtes. gebrandmarktes, aus öffentlichen Räumen verbanntes Opfer einer gesundheitsfanatischen Volksmehrheit, die - wie einst der Nazihaufen um die Reinheit des Blutes -, nun um die Reinheit ihrer Atemwege und Lungen bangt. So wird jeder in der Öffentlichkeit gepaffte Glimmstengel zu einem antifaschistischen Akt.  
Aber, mal ehrlich, ein Tugendbold ist etwas anderes als der größte Massenmörder der Geschichte und für fanatische Nichtraucher hat der allgemeine Sprachgebrauch genug Schmähworte parat, das reicht von „Gesundheitsapostel“ bis „Superriesenarschloch“.  
Wer bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu Nazi-Vergleichen greift, macht diese Waffe auf die Dauer nicht nur stumpf, er macht sie auch untauglich bei der Bekämpfung von den Leuten – und das sind gar nicht so wenig - , die am 20. April 2009 tatsächlich Hitlers Geburtstag feiern.