Archiv Ausgabe Dezember 2011 weitere Themen

Justin Brown - Badische Staatskapelle

Create Folder /var/www/web1109/html/online/images/articles/2011-12/thumbs/
Warning: mkdir(): No such file or directory in /var/www/web1109/html/online/cms_base/data/cms_image.php on line 759
not exist /var/www/web1109/html/online/images/articles/2011-12/thumbs/_299_226_Braun.jpg

Alles für das Volk

Man mag es kaum glauben: Während Karlsruhe seit geraumer Zeit der 300. Wiederkehr seiner Stadtgründung im Jahr 2015 entgegenfiebert, überholt sein Vorzeigeorchester die Stadt mal locker aus dem Stand. Mit dem Festkonzert am 9. Januar eröffnet die Badische Staatskapelle ihr Jubiläumsjahr zum 350. Geburtstag. Johannes Frisch unterhielt sich für die Klappe Auf mit Justin Brown, der seit 2008 als Generalmusikdirektor (GMD) dem 1662 erstmals als „Music der Hof-Capellen“ urkundlich erwähnten Klangkörper vorsteht. 
 
Herr Brown, inwieweit macht es sich in der Arbeit mit einem Orchester bemerkbar, wenn es über eine so lange Tradition verfügt´ 
 
Justin Brown: Wir sind eines der fünf, maximal zehn ältesten Orchester der Welt. In Dänemark gibt es ein Orchester, das im 15. Jahrhundert gegründet wurde. 350 Jahre alt, das ist auch schon unglaublich selten. Natürlich merkt man dem Orchester nicht diese ganze Zeit an, aber was man deutlich spürt, ist die ungebrochene Tradition der vergangenen zwei Jahrhunderte, seit die Orchester mit der Blüte der Klassik ihre heutige Ausprägung erhielten. Später wurden die Orchester größer, das Schlagzeug kam hinzu, aber im Grunde war das Orchester mit Beethoven in seiner heutigen Form ausgeprägt. Das Arbeiten mit solch einem Orchester ist deutlich anders als mit einem amerikanischen oder auch englischen Orchester, die meist erst Mitte des 20. Jahrhunderts gegründet wurden. Einer meiner Vorgänger etwa war Hermann Levi, ein Freund Richard Wagners, ein anderer der Wagner-Schüler Felix Mottl, der hier zum Beispiel Berlioz´ großartige Oper „Les Troyens“ uraufführte, die wir vor kurzem wieder herausbrachten. So etwas prägt ein Orchester dauerhaft. Als wir hier begannen, Wagner zu spielen, hatte ich meine Ideen im Kopf, merkte beim Proben aber sofort, dass es hier einfach ein Gefühl und ein Verständnis für diese Musik gibt, die man anderswo so nicht findet. Es gibt Dirigenten, die bevorzugen am Anfang ein leeres Blatt, ich aber suche und freue mich über die Traditionen, mit denen ich musizieren kann. 
 
Konsequent setzen Sie in den Konzertprogrammen der Jubiläumsspielzeit auf zeitgenössische Komponisten. Wie vereinbaren sich in Karlsruhe Tradition und Zeitgenossenschaft´ 
 
Brown: Man spricht von den Traditionen, aber als Berlioz und Brahms hier uraufgeführt wurden, waren sie auch Zeitgenossen. Wir sind nicht nur sehr alt, wir sind auch sehr neu. Eine wichtige Musikstadt ist ein Ort, an dem immer etwas Neues gemacht wird. So setzen wir im Jubiläumsjahr neben historischen Programmen gerade auch auf das Neue. Ich habe sehr dafür gekämpft, dass die Staatskapelle das Eröffnungskonzert der Europäischen Kulturtage zu Wolfgang Rihm spielen wird. Dass einer der wichtigsten lebenden Komponisten in der Stadt lebt und für die Staatskapelle ein großes Auftragswerk schreibt, ist mir eine große Freude. Widerstände der Musiker gegen Neue Musik habe ich noch nie erlebt. Es gibt in jeder Ära bessere und schlechtere Werke, und die Musiker sind immer darauf aus, gute Musik zu spielen. Und auch das Publikum, bei dem man merkt, dass es die wohlbekannten Meisterwerke gerne hat, ist sehr aufgeschlossen.  
 
Das Volkstheater im Sinne einer Bürgerbeteiligung aller Altersgruppen und -schichten ist einer der programmatischen Schwerpunkte des neuen Intendanten Peter Spuhler. Inwieweit können Sie an diesem Aspekt mitwirken´ 
 
Brown: Ich mache alles für das Volk. Je älter ich werde, desto weniger habe ich für rein intellektuelle Dinge Interesse. Wir Musiker haben ja erst einmal ein Blatt Papier mit schwarzen Punkten vor uns, aber das ist noch keine Musik. Wir müssen das mit unserem Atem und unserer Seele zum Leben erwecken, um den Geist des Stückes in den Raum zu bekommen und die Musik direkt von Mensch zu Mensch sprechen zu lassen. 
 
Im Februar startet nach den lange schon erfolgreichen Kinderkonzerten eine neue Reihe von Jugendkonzerten. Mit welchen Mitteln und Strategien wollen Sie ein im Allgemeinen eher klassikfernes jugendliches Publikum ins Theater bekommen und für klassische Musik begeistern´ 
 
Brown: In Amerika habe ich so etwas schon oft gemacht, aber in Deutschland ist das für mich auch ein erster Versuch, auf den ich sehr gespannt bin. Die Idee dahinter ist, ein Stück aus dem Sinfoniekonzert herauszugreifen, es zu spielen und darüber zu erzählen, warum wir das so toll finden. In dem von mir geleiteten Jugendkonzert wird es um eine 20 Minuten kurze Sinfonie des israelischen Komponisten Avner Dorman gehen, über die es so viel zu erzählen gäbe. Mein Problem wird sein, nicht zu viel zu reden, aber langweilig wird es den Jugendlichen bestimmt nicht. 
 
Was hat sich für Sie unter der neuen Theaterleitung vor allem geändert´ 
 
Brown: Was Gott sei Dank geblieben ist, ist unser hervorragendes Orchester. Aber sonst ist alles anders. Es hat ein ziemlich umfassender Generationswechsel stattgefunden. Die letzten drei Intendanten vertraten einen ganz anderen Führungsstil, die Alte Schule sozusagen, ohne das abwertend zu meinen. Peter Spuhler hat junges Theater gerne und sucht gezielt ein neues Publikum hinzuzugewinnen. Ich finde das spannend, auch wenn ich nun derjenige bin, der für die Traditionen ficht. Ich bin stärker als zuvor in die Entscheidungen eingebunden. Spuhler hingegen interessiert sich für alles und hat viel Lust, in alle Sparten eingebunden zu sein. Ich glaube, er ist auch stolz, dass wir hier so ein großes und wichtiges Orchester haben. 
 
Chefdirigent des Alabama Symphony Orchestra, GMD in Karlsruhe, dazu zahlreiche Gastdirigate an berühmten Häusern wie Covent Garden in London, La Monnaie in Brüssel oder der Bayerischen Staatsoper. Auch sind Sie selbst als Pianist gefragt. Was kommt in ihrem Leben zu kurz, oder lassen sich sämtliche Aufgaben problemlos unter einen Hut bringen´ 
 
Brown: Ja, es ist Wahnsinn und dumm, so viel zu machen, aber es ist auch unendlich toll. Wenn man in seinem Leben die Chance hat, so wunderbare Sachen machen zu können, ist es schwer, nein zu sagen. Das Klavierspielen ist meine erste Liebe und bedeutet für mich vor allem Entspannung, gerade in der Kammermusik als Kollege unter Kollegen. Das Schwierigste ist das Reisen. Der Jetlag wird nicht angenehmer, wenn man älter wird. Aber ich finde es auch nicht schlecht, mit anderen Leuten zu arbeiten und dann wiederzukommen, das hält frisch. Würden wir uns 365 Tage im Jahr hier sehen, wäre es vielleicht schwierig, sich die Spielfreude zu erhalten. Man hat Stress, aber auch diese große Freude, Musik zu machen, das entschädigt. 
 
In Hamburg hat mit Simone Young gerade eine zuvor sehr erfolgreiche Kollegin ihren Abschied angekündigt. Man habe sich künstlerisch nichts mehr zu sagen, heißt es aus Orchesterkreisen. Wie kann man die Beziehung zwischen Orchester und Orchesterleiter über Jahre frisch und spannend halten´ 
 
Brown: Das ist eine gute Frage, aber ich denke, man sollte darüber nicht allzu viel nachdenken. Man muss ehrlich bleiben und sich so verhalten wie man ist, und nicht wie man vielleicht gerne wäre. Wenn man gemeinsam Musik macht, muss es Spaß machen und spannend bleiben. Dabei ist es schwer, zu beurteilen, wie lange man bleiben soll. Ich habe entschieden nach sechs Jahren zum Ende der Saison in Alabama aufzuhören. Wir haben in dieser Zeit sehr viel erreicht, darauf bin ich stolz. Als ich begann, wusste man nicht, dass es in Alabama ein Orchester gibt. Wir bekamen zahlreiche Auszeichnungen und zuletzt erhielten wie eine Einladung in die New Yorker Carnegie Hall. Aber um nun noch gemeinsam einen weiteren Schritt nach vorne zu tun, müssten wir das Orchester vergrößern, was viel Geld kosten würde. Jetzt auf der Spitze, finde ich den richtigen Zeitpunkt zu gehen. In Karlsruhe hingegen, glaube ich, haben wir noch viel gemeinsam zu tun.