Archiv Ausgabe Mai 2013 Verschiedenes Herbies Cartoon

Bluff

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Zwei Seelen (mindestens!) schlagen gewöhnlich in der Brust des Kolumnisten, das heißt auch in meiner. Wer in schöner Regelmäßigkeit kulturelle und gesellschaftliche Phänomene, insbesondere Fehlleistungen und Fehlentwicklungen, aufs Korn nimmt, der sonnt sich zu gerne im Gefühl der Einzigartigkeit seiner An- und Einsichten, seiner glänzenden Formulierungen, die ein Problem, das bislang so noch keiner erkannt und gebannt hat, auf den Punkt bringen, und sehnt sich dabei zugleich nach Mitwissenden und Mitstreitern, die die Welt in ähnlicher Weise wahrnehmen, die dem Kolumnisten, der sich ja dem stets dem Vorwurf der Selbstüberhebung ausgesetzt sieht, das Gefühl vermitteln: Du bist nicht allein.  
Nicht zuletzt geht es übrigens auch darum, dass der rechte polemische Verve sich erst einstellt, wenn man etwas geißelt, was einem wirklich ein Dorn im Auge, ein Schmerz im Arsch ist, den man natürlich abstellen möchte – und das lässt sich als Solist nun mal nicht bewerkstelligen. So habe ich in den letzten Jahren mit einigem Vergnügen das Wirken und Reden von Manfred Lütz mitverfolgt, der immer mal wieder in diversen Medien in Erscheinung getreten ist mit klugen, gewitzten Sätzen gegen Fitnesswahn, Gesundheitsreligion, die Modekrankheit Burnout und Esoterik-Quark. Ich glaube, ein, zwei Mal habe ich ihn auch zitiert, ein Mitstreiter im Geiste also, ein gelernter Psychiater und Psychotherapeut, der über den Tellerrand seines Faches hinausblickt und das Ganze im Auge hat, dass er auch Diplom-Theologe ist, störte mich nicht weiter.  
Wer an Gott glaubt, ist deshalb nicht unzurechnungsfähig oder gar blind für die Schwächen seiner vermeintlichen Schöpfung. Und so war ich gespannt auf die Lektüre seines nicht mehr ganz neuen Bestsellers mit dem vielversprechenden Titel „Bluff!“ und dem noch mehr versprechenden Untertitel „Die Fälschung der Welt“. Nach langem Zögern habe ich das Buch, das in den Buchhandlungen stets unübersehbar platziert war, dann doch noch gekauft und erlebte eine Enttäuschung.  
Ja, es fanden sich darin ein paar schöne Formulierungen, wie etwa diese zum Thema Gesundheitswahn: „Doch der Gesundheitsgläubige verhält sich wie ein Theaterdirektor, der all seine Mühe drauf verwendet, ein Theater instand zu halten, in dem niemals gespielt wird“, treffliche, wenn auch leicht überzeichnete Ansichten zu der nivellierenden und limitierenden Macht bestimmter moderner Milieus oder zur „eilfertige(n) Pathologisierung des Lebens“ wie sie sich eben nicht nur im Hype um Burnout manifestiert.  
Aber in der Unterfütterung seiner Argumente ist Lütz eher nachlässig, dafür verweist er immer wieder auf den nicht mehr ganz taufrischen Film „Truman-Show“, in dem der Titelheld in einem gigantischen Fernsehstudio aufwächst, das er für die wirkliche Welt hält, bis dieses Weltbild Risse erhält. Das ist zugegebenermaßen eine eindrucksvolle filmische Vision, die man sich bei Gelegenheit einmal anschauen sollte, aber als Bild für unsere komplexe Welt kaum tauglich. Lütz aber bringt bei seiner Weltbeschreibung immer wieder diesen Film ins Spiel, bei dem doch im Gegensatz zu den Täuschungen und Fälschungen unseres Alltags die Betrüger, nämlich die Fernsehleute, die mit dieser gefakten Welt Geld verdienen, und der Betrogene, nämlich Truman, der vom wirklichen Leben ferngehalten wird, klar unterschieden sind.  
Wer aber sind die Bösen in dem realen Fälschungsspiel, das Lütz zu enttarnen vorgibt, das bleibt ebenso unklar wie auch die Beschaffenheit des wahren, rechten Lebens, das wir nach Ansicht des Autors angeblich verpassen. So viel steht fest, Gott sollte darin eine große Rolle spielen, denn das Wort „Gott“ kommt auf jeder Seite vor, oft mehrmals. „Mein Gott, was soll´s?“, mag da der ungläubige Leser ausrufen, der keinem fundamentalistischen Atheismus huldigt, der schon per se ein Blödsinn ist, weil sich kein Fundament auf Nichts aufbauen lässt. Aber dann lässt Lütz schließlich doch noch die Katze aus dem Sack (übrigens: ein recht stimmiges Bild für jede Form von Gottesvorstellung) und setzt zu einer großen Verteidigung der Katholischen Kirche und zur Verniedlichung ihrer Verbrechen an und es tritt ganz jener Manfred Lütz in Erscheinung, der dem Direktorium der Päpstlichen Akademie fürs Leben angehört und als Berater der Vatikanischen Glaubenskongregation fungiert.  
Da gebärdet er sich ganz unverhohlen als kirchlicher Propagandist, der gegen spirituelle Prothesen und Religionen aus dem Baumarkt wettert, weil er ganz im Bann und in Diensten steht des mächtigsten, global agierenden Herstellers von spirituellen Prothesen und Anbieters von weihrauchgeschwängerten Wohlfühlsitzungen mit Orgelbegleitung, der zu gerne seine einstige Monopolstellung wieder hätte.  
Wenn Lütz das alte Mütterchen aus der Eifel mit seiner angeblichen Lebensklugheit gegen die Naturwissenschaft mit ihren spezifischen Interessengebieten ins Feld führt, dann offenbart sich Lütz selbst als ein Roßtäuscher, der einem die Selbstgenügsamkeit wunschlosen Unglücks im dörflichen Rahmen (selbstverständlich mit Kirche) als erstrebenswertes Lebensmodell vorführt.  
Ich bin auf dem Dorf aufgewachsen und habe dabei ausgesprochen selten Menschen erlebt, die aus ihrem Glauben Lebenskraft oder sogar Freude schöpften – im Gegenteil. Die sonntäglichen Kirchgänge sind mir in Erinnerung geblieben als eine Parade der Freudlosigkeit. Da ist der große Entlarver einer Selbsttäuschung aufgesessen oder er täuscht bewusst selbst. “Bluff“ ist selbst nicht mehr als ein Bluff. Das hat vor mir schon ein Rezensent festgestellt – und, wie sich gezeigt hat, gewinnbringend noch dazu, vor allem für den Autor. Wenn es einen Gott gibt, muss er seinen treuen Diener Lütz recht lieb haben.