Archiv Ausgabe September 2015 Verschiedenes Herbies Cartoon

Willkommenskultur

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„Golddorf“ ist der auf den ersten Blick etwas rätselhafte Titel eines deutschen Dokumentarfilms über ein Dorf in den bayrischen Alpen, das sich auf einmal mit der Anwesenheit von 40 Flüchtlingen konfrontiert sieht. „Golddorf“ ist eine Anspielung darauf, dass die Ortschaft, die fast jedes Postkartenklischee bedient, in den 90er Jahren den fragwürdigen Wettbewerb „Unser Dorf soll schön werden“ gewonnen hat. Den Flüchtlingen aus Eritrea, Syrien und Afghanistan, die Armut, lebensbedrohliche Repression und Bürgerkrieg hinter sich gelassen haben, muss das bayrische Bergen im Chiemgau wie ein Schlaraffenland vorkommen, wie eine Insel der Seligen mit für ihre Augen und Ohren etwas befremdlichem bajuwarischem Dekor und Zungenschlag.. Die Filmemacherin wollte zeigen, wie die Einheimischen auf die Fremden und die Fremden auf die Einheimischen reagieren. Was sie zeigt, ist im Grunde eine Idylle. Ja, da sitzen ein paar ältere Einheimische beim Bier und geben zu, dass sie schon mal gestutzt haben, als da auf einmal „schwarze“ Köpfe im Stammlokal aufgetaucht sind. Das ist natürlich in der verschärften Wahrnehmung von selbsterklärten Flüchtlingsfreunden schon mal ziemlich fremdenfeindlich und rassistisch. Aber siehe da, es gibt auch gute Menschen im Ort, eine pensionierte Lehrerin gibt den Flüchtlingen unentgeltlich Deutschunterricht, ein Hotelbesitzer stellt sein gerade wenig frequentiertes Etablissement als Flüchtlingsunterkunft zur Verfügung. Ein Flüchtling aus Afghanistan beklagt sich halb scherzhaft darüber, dass seine Unterkunft so klein sei.  
Wohlgemerkt: Carolin Genreith hat ihren Film im letzten Jahr gedreht, als noch keine provisorischen Notunterkünfte erstellt, noch keine Sport- und Messehallen als Flüchtlingsunterkünfte zweckentfremdet werden mussten. Genreiths Dokumentation lässt wenig Zweifel daran, dass die 5000 Seelengemeinde 40 Flüchtlinge ohne Not verkraften und vielleicht sogar durch die Begegnung mit dem Fremden etwas gewinnen kann. Aber wie sähe das aus, wenn es sich um 400 Flüchtlinge und vielleicht noch mehr handeln würde, wenn das schöne Stadtbild auf einmal von einem Containerdorf verschandelt würde, wenn sich vor den Geschäften und Lokalen nicht mehr Touristen, sondern Asylbewerber herumtreiben würden, die irgendwie versuchen die Zeit totzuschlagen? Kein Mensch hierzulande wollte unter den Umständen leben, denen sie entflohen sind. Niemand verläßt aus Jux und Tollerei sein Heimatland mit wenig mehr als dem, was er auf dem Leib trägt, das trifft selbst auf die „Wirtschaftsflüchtlinge“ aus den Balkan zu. So bin ich es leid, von Politikern, besonders von den Linken und den Grünen, immer wieder Reden zu hören, die um Verständnis für die Flüchtlinge zu werben. Dieses Verständnis habe ich wie Millionen andere Deutsche auch, es geht bei der derzeitigen Masse von Flüchtlingen darum das Wünschbare und das Machbare zusammenzubringen. Schöne hehre Worte schaffen keine menschenwürdigen Unterkünfte, sorgen nicht dafür, die Reibungsflächen zwischen Flüchtlingen und Einheimischen klein zu halten, eventuell aufkommende Konflikte zu lösen. Guter Wille, Verständnis und Engagement sind nicht unbegrenzt belastbar. Sich in Kommentaren und Reden schützend vor die Flüchtlinge und Asylbewerber zu stellen, ist kaum mehr als Maulheldentum, das nichts mehr kostet als einen Shitstorm von Dumpfbacken, vor deren geistiger und seelischer Unterbelichtetheit sich der Flüchtlingsfreund umso leuchtender abheben kann. Mehr Licht in die Situation vor Ort, wo sich die Verantwortlichen und auch ehrenamtliche Helfer bis über die Belastungsgrenze hinaus um die vielen Flüchtlinge bemühen, bringen sie damit nicht. Tagesschau-Kommentatorin Anja Reschke und Filmheld Til Schweiger haben für ihren heroischen Äußerungen weder den Shitstorm von der einen noch die Lobeshymnen von der anderen Seite verdient. Ihre Äußerungen sind „unterkomplex“ angesichts der kaum noch überschaubaren Gesamtsituation, aber das trifft auf fast alle Äußerungen in diesem Zusammenhang zu.  
So etwas wie die Wahrheit liegt wohl im sehr weiten Feld zwischen zwei Extrempositionen, zwischen der „Ausländer raus“-Fraktion, der das Brett vor dem Kopf, die Welt bedeutet, und der „Ausländer rein“-Fraktion, deren grenzenlose, weltumarmende Güte und Menschenfreundlichkeit sich um die Begrenztheit der materiellen Mittel und der Aufnahmefähigkeit auch eines reichen Landes nicht schert. Eine Lösung gibt es in der derzeitigen Situation nicht, sondern nur ein Austarieren von Unzuträglichkeiten. Aber eine solche Erkenntnis passt weder auf ein Demonstrationsbanner noch lässt sich damit eine Wahl gewinnen.